Den Raum lesen, den Raum sehen?

Wer kümmert sich um den Raum?  Wie kümmert man sich um den Raum? Welche geänderten Raumvorstellungen können sich etablieren? Welche neuen Raumbilder können wir anbieten?

Im Raume Sein
Raum sehen, Raum lesen – Grundlagen zur Raumtransformation

Über Raum zu sprechen heißt, einen erfahrbaren Ausdruck und eine dauernde Ablagerung des menschlichen Handelns zu sehen, zu beschreiben und zu befragen. Eine Vorstellung von Raum ist, für die Einzelperson und die Gemeinschaft die Grundlage, um eine verlässlich ordnende Orientierung in der Welt zu ermöglichen.

Der Begriff des Raumes ist vage, vielschichtig. Aus den Betrachtungen verschiedener Raumwissenschaften ergeben sich viele, auch inkongruente Definitionen. Nun scheint allen gegenwärtigen Vorstellungen gemeinsam, dass mit Raum eine von Menschen verursachte, projizierte und produzierte Organisation des Nebeneinanders verstanden wird.

Raum ist, in einer anthropozentrischen Vorstellung nicht mehr natürliche Grundlage jeglichen Lebens, sondern vielmehr und in jeglicher Gestalt ein soziales Konstrukt. Der „Kulturraum“ hat sich vom „Naturraum“ entbunden und diesen gleichzeitig gefressen.

                                                                    Fotos: Markus Lanz: Region Niedersachsen

Wir Menschen haben Raum in seiner Konkretheit nach unserem Handeln und durch unser Handeln gestaltet. Die Entwicklungsgeschichte des Menschen lässt sich in der Entwicklung von Raumvorstellungen nachzeichnen. In dem Maße sich Menschen Werkzeuge, Apparaturen und Instrumente, körpererweiternde Prothesen also, entwickelt haben, hat sich die Eroberung und Produktion von Raum, die Raumstruktur an sich verändert.

Mit der Entwicklung des materiellen Raumes ist die spezifische Wahrnehmung von Raum, die räumliche Praxis, die Definition des Raumbegriffs, die Raumvorstellung und -konzeption und damit die entsprechende Möglichkeit einer individuellen und gesellschaftlichen Entfaltung wirkend miteinander verwoben. Jede Phase der Menschheitsgeschichte ist an spezifische Raumvorstellungen gebunden.

In Anbetracht der drohenden Verwüstung der Lebensgrundlage und der Auflösung kollektiver Strukturen, mit der sich der verursachende Mensch in der geochronologischen Epoche des Anthropozäns konfrontiert sieht, sind die wesentlichen Themen in einer Vorstellung von Raum verhandelbar.

Wie lässt sich das menschliche Handeln auf die Erfordernisse zum Erhalt eines lebenswerten Raumes ausrichten? Welches gesellschaftliche Gefüge wollen wir in den gemeinsamen Räumen formulieren?

Das Wissen über den umfassenden Einfluss des Menschen auf jegliche Prozesse auf der Erde und das offensichtliche Scheitern darin scheint uns Menschen in eine gewisse Schockstarre zu versetzen. Wir können uns aus der Handlungsunfähigkeit lösen, indem wir die brennend präsenten, teils aber abstrakten Themen der Zerstörung in die Sicht- und Erfahrbarkeit des Raumes holen.

Unser Handeln im Raum, unser Verständnis und unsere Konzeption von Raum, unsere Idee von Leben über eine Wahrnehmung des Vorhandenen und eine Imagination des Möglichen neu verhandeln und gestalten.
Im Raume Sein.

                                                                            Foto: Markus Lanz: 0_2851_Region KE

Eine Annäherung:
Eine neue Raumvorstellung ordnet sich unter den Imperativ der Klimaneutralität und stärkt das Öffentliche.

Um das handelnde Selbst im Raum zu sehen, ist mir ein Verständnis des betrachtenden und erfahrbaren Raumes als interagierender AllumRaum hilfreich. Er integriert den Menschen, das zentrische Einzelne als Teil in Konstellationen des natürlichen und sozialen Umfelds. Der Naturraum erfährt, im Verständnis als Grundlage des Kulturraums, eine neue Präsenz.

Dieser AllumRaum ließe sich in Betrachtungsmaßstäbe und Handlungsebenen kategorisieren. Wir gestalten Strategien für den regionalen Raum. Um auf lokaler Ebene die räumliche Transformation gestalten zu können, möchte ich gleichermaßen den weltweiten Wirkungsraum meines Handelns und die Morphologie der Region verstehen. Den Zusammenhang zwischen dem Metzger um die Ecke, der Alm und dem brennenden Regenwald sehen. Unsere räumliche Praxis konfrontiert sich mit den hervorgerufenen Konsequenzen.

Die Entwicklung einer Raumvorstellung erfordert zuerst die Wahrnehmung unserer bestehenden Lebensräume und unserer selbst im Raum. Des Raumes in der Konkretheit der Gestalt, des Raumes als verhandeltes Konzept, des Raumes als komplexe Situation.

In diesen Ebenen beschreiben wir die Räume der Region um die Wahrnehmung planerisch wirksam zu machen. In einer „dichten (anthropologischen) Beschreibung“, in der Übung einer „phänomenologischen Reduktion“. Bestimmte Produktionsbedingungen und allen voran eine präzise morphologische Betrachtung unseres Umraumes formulieren die Potentiale und Bedingungen. Wir erzählen unsere Lebensvorstellung in den Raum, entwickeln Szenarien unseres Lebensalltags, manifestieren eine gestaltreiche, damit identitätsstiftende und nachhaltige Raumvorstellung. In welchen Räumen können und möchten wir leben?

Die Imagination und Gestaltung eines möglichen Lebensraumes entfaltet sich aus gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Sie bieten Transparenz in der Vermittlung und vor allem Möglichkeiten der Anteilnahme und Mitwirkung. Nicht allein der Diskurs über Raum, sondern im gleichen Maße der Diskurs über Raum im Raum findet dabei Beachtung.

Über eine räumliche Vorstellung eines zukünftig möglichen Lebens treten wir Menschen in Relation zur Welt. Wir sehen unsere Gestaltungsmöglichkeit, unsere Wirksamkeit im Öffentlichen. Wir sehen die Konsequenzen unseres Handelns im Raum und richten uns danach.

[Beitrag von Markus Lanz, LG Bayern]

Literatur
[1] Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur, Eine Geschichte der Deutschen Landschaft
[2] Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation
[3] Günzel, Stephan, Hrg: Raumwissenschaften
[4] Krenak, Ailton; Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen
[5] Lefebvre, Henri: The production of space
[6] Löw, Martina: Raumsotiologie
[7] Lüscher, Jonas: Ins Erzählen flüchten
[8] Papst Franziskus: Enzyklika LAUDATI SI´, über die Sorge für das gemeinsame Haus
[9] Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit
[10] Sennett, Richard: Fleisch und Stein.

 

 

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