In wohl kaum einer Region Europas liegen Wachstum und Schrumpfung so eng nebeneinander wie in Berlin und der Lausitz. Die Lausitz ist – trotz „Aufbau Ost“ und einer beispiellosen Transformation von einer der größten Kohletagebauregionen der Welt zu einem gigantischen Naherholungsgebiet – dem Lausitzer Seenland – seit 1990 von Schrumpfung geprägt. Der Ausstieg aus der Braunkohle, aber auch dramatische Bevölkerungsverluste, Schließungen von Unternehmen und Rückbau haben in den vergangenen drei Jahrzehnten massive Veränderungen ausgelöst. Leerstände, Brachen, Schließungen und Abwicklungen bestimmen seitdem die Realität und haben nicht nur bauliche Narben hinterlassen, sondern zeichnen sich auch in der Gesellschaft ab: Vielen Menschen fällt es schwer, den erneuten Strukturwandel, der sich unmittelbar mit der Energiewende bis 2038 verbindet, als Chance zu sehen. Mehrere Faktoren, die mit Schrumpfung verbunden werden, überlagern sich hier und verstärken sich gegenseitig: der politische Systemwechsel nach 1989, der neue Wahlmöglichkeiten bei der Lebensgestaltung hervorbrachte, die von vielen Menschen als radikaler „Systembruch“ wahrgenommene Deindustrialisierung[1] und der demografische Wandel, aus dem ein hoher Altersdurchschnitt und ein „Männerüberschuss“ resultiert.[2] Diese Entwicklung wurde allgemein als negativ empfunden, Gefühle von Leere und „Auf der Seite der Verlierer“ zu stehen, überwogen. Viele Aspekte dieser Entwicklung mündeten in einem Verlust weicher Standortfaktoren und in einem eher schlechten Image der Region. So überrascht es kaum, dass auch in dieser Region der Fachkräftemangel mittlerweile als ein limitierender Faktor für eine positive wirtschaftliche Entwicklung spürbar ist.
Schon historisch existierten enge Verflechtungen zwischen Berlin und der Lausitz und diese werden angesichts der Energiewende, der notwendigen Stärkung von regionalen Wertschöpfungsketten oder des Mangels an Wohnraum in den Metropolen in Zukunft noch zunehmen. Doch zu wenig werden beide Gebiete, etwa in der räumlichen Planung, bislang zusammen gedacht. Gesellschaftlich und politisch ist aktuell eine Polarisierung von Stadt und Land zu beobachten, ein zunehmendes Nicht-Verstehen bis hin zu einer geringschätzenden Haltung des jeweils anderen, auch hier besteht Grund zur Sorge.[3] Für eine resiliente, zukunftsfähige Region ist jedoch eine gemeinsame, auf gegenseitiger Wertschätzung, zumindest jedoch auf wechselseitigem Respekt beruhende Entwicklung geboten. Dieser Entwicklung sollte aus unserer Sicht eine positive tragfähige räumliche Zukunftsvision – ein Raumbild – für die Lausitz zugrunde liegen.[4]
Was kann ein Raumbild für die Lausitz als Zukunftsregion leisten?
Aufgabe eines solchen informellen Planungsinstrumentes „Raumbild“ kann es sein, die vielschichtigen räumlichen Transformationen, vor denen die Region steht, zu identifizieren sowie ein zukunftsfähiges Bild für eine sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltige räumliche Entwicklung aufzuzeigen. Das Raumbild entwirft ein positives Zukunftsbild für die Region und zeigt auf, wie sich Teilräume verändern sollten. Es trifft darüber hinaus Aussagen zur Umsetzung und zeigt konkrete Implementierungsansätze und Handlungsoptionen auf.
Wie kann es gelingen, ein Raumbild für die Lausitz zu entwerfen, das die Menschen von den Potenzialen der Region überzeugt? Das ein realistisches Bild des Lebens in dieser Region vermittelt, keine falsche romantische Vorstellung des Lebens auf dem Land? Und das verhindert, dass das Pendel zu einem unverträglichen Wachstumsboom ausschlägt – mit negativen Folgen wie überhitzten Immobilienmärkten und Unmut zwischen Alteingesessenen und Zuzüglern? Wie muss eine Debatte um die Zukunft der Lausitz aussehen, die nicht als Debatte um Leere und Defizite, sondern um zukunftsgerichtete Potenziale und Möglichkeiten geführt wird? Ein auf maximales Wachstum ausgerichtetes Entwicklungsmodell kann – auch angesichts der planetaren Grenzen – für die Lausitz nicht mehr das Ziel sein. Vielmehr gilt es, hier, wie auch in anderen Regionen, ein Suffizienz-Modell zu entwickeln, das so viel Zuzug auslöst, wie die Region braucht, und einen ausgewogenen Alters- und Bildungsdurchschnitt schafft. Ein Entwicklungsmodell, das auf einem resilienten Umgang mit Krisen beruht. Die folgenden Thesen können erste Parameter eines solchen Entwicklungsmodells sein:
These 1: Die Lausitz ist schon heute Energieregion der Zukunft, hier wird die Energiewende gemacht!
Die Lausitz ist schon heute Reallabor der Energiewende. Kaum eine Region ist so offen für Innovationen. In Klettwitz im Landkreis Oberspreewald Lausitz wurde der mit 300 Metern höchste Windmessturm der Welt errichtet und im Energiepark Lausitz entstehen riesige Flächen mit Photovoltaik. In Schwarze Pumpe wird ein Wasserstoff-Speicherkraftwerk entstehen.[5] Viele der positiven Entwicklungen – die häufig bereits in den 1990er Jahren angestoßen wurden und nicht erst jetzt Erfolge zeigen – werden zu wenig wahrgenommen. Die Umstellung auf regenerative Energien ist in der Lausitz in vollem Gange ist und viele bahnbrechende Entwicklungen setzen die technologieorientierte und innovationsoffene Tradition der Lausitz fort.
These 2: Die Lausitz ist ein wichtiger Standort für lokale Wertschöpfung und Relokalisierung
Wichtige Technologiebranchen sind bereits heute in der Lausitz angesiedelt, etwa bei BASF in Schwarzheide, beim Zentrum für automatisiertes und vernetztes Fahren der Dekra am Lausitzring oder mit der Produktion von nachhaltigen Batterien bei Altech in Schwarze Pumpe. Die Lausitz ist eine transformationserfahrene und technikaffine Zukunftsregion, die in vielen Fragen des Umgangs mit Veränderungsprozessen anderen Regionen weit voraus ist. In Zukunft brauchen wir nicht nur mehr Fläche für die Erzeugung erneuerbarer Energien, sondern auch für die lokale Nahrungsmittelproduktion und andere Wertschöpfungsketten. Wir werden es uns auch im ländlich geprägten Raum kaum noch leisten können, Flächen brach liegen zu lassen oder nur mit einer Nutzung zu belegen – Mehrfachnutzung und Multicodierung sind auch hier wichtige Stichworte, die mit konkreten Ideen und Ansätzen zu unterlegen sind. Die Lausitz bietet gute Voraussetzungen für eine Relokalisierung von Industrie und Produktion.
These 3: Möglichkeitsräume
Die Lausitz ist in vielfältiger Hinsicht ein Möglichkeitsraum. Zahllose Betriebe in nahezu allen Branchen haben Probleme bei der Nachfolgeregelung – vom Handwerk bis zum Ingenieurbüro – hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, eigene Fähigkeiten zu erproben und zu praktizieren. Hier gilt es, kreative Ansätze zu entwickeln, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken – lineare Erwerbsbiografien werden abgelöst durch mehrgleisige und flexible Erwerbsformen und Tätigkeitsfelder. Gleichzeitig gibt es immer noch viel räumliches Potenzial – Leerstände, die es zu aktivieren gilt, Brachen, auf denen Dinge entstehen können – Freiräume, die für viele in den großen Metropolen so kaum noch erschwinglich sein dürften.
These 4: Die Lausitz profitiert von zivilgesellschaftlichem Engagement
Dass viele Aktivitäten und Angebote in der Lausitz und in anderen ländlichen Regionen auf einem starken ehrenamtlichen Engagement beruhen und dass nur mit Zivilgesellschaft, Ehrenamt und einer intensiven Kooperation vielfältiger Akteure die vielen Aufgaben bewältigt werden können, die vor uns liegen, ist ein wichtiger Ansatz einer resilienten Entwicklung. Doch auch wenn der Staat viele Aufgaben nicht selbst übernehmen kann, ist es wichtig, dass er dafür zumindest eine gute, ermöglichende Infrastruktur bereitstellt: Bei den freiwilligen Feuerwehren sind das moderne Einsatzfahrzeuge und gute Gerätehäuser, die sich auch als Treffpunkt und Schulungsorte eignen. Auch für selbstorganisierte Bildungs-, Sport- und Kulturangebote braucht es Räume und Ausstattung – Küchen, Bühnen, Tonanlagen, Computer, die man nutzen kann, wenn man bei Angeboten, die die Region stärken, mitwirkt. Mit dem vielfältigen Engagement und zivilgesellschaftlichen Initiativen, die schon heute in der Lausitz Dorfläden und Schwimmbäder genossenschaftlich betreiben, ein kulturelles Angebot organisieren und somit das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken, kann die Lausitz zu einer Vorreiterregion für eine resiliente Zukunft werden.
[1] Siehe auch: „(Der) Begriff der Deindustrialisierung (erfasst) Ausmaß, Inhalt und Resultat des wirtschaftlichen Strukturwandels und der daraus resultierenden hohen Arbeitslosigkeit, der demografischen Entwicklung und der urbanen Rückbildungsprozesse in den ostdeutschen Bundesländern nur unzureichend: „De-LPGsierung“ (Dekollektivierung der Landwirtschaft), „De-Administrierung“ und „De-Militarisierung“ sind gleichermaßen Prozesse mit erheblichen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Städte in Ostdeutschland.“ Hannemann, Christine: Schrumpfende Städte in Ostdeutschland – Ursache und Folgen einer Stadtentwicklung ohne Wirtschaftswachstum. In: APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte, 01.07.2003, abrufbar unter: www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/27519/schrumpfende-staedte-in-ostdeutschland-ursache-und-folgen-einer-stadtentwicklung-ohne-wirtschaftswachstum/
[2] Vgl. Müller, Winfried/Steinberg, Swen: Region im Wandel Eine kurze Geschichte der Lausitz(en). In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2020, abrufbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/304328/region-im-wandel/ (03.06.2023).
[3] Vgl. Siedentop, Stefan/Stroms, Peter: Stadt und Land – gleichwertig, polarisiert, vielfältig. Eine Metastudie zu Stadt-Land-Beziehungen im Auftrag der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 2021.
[4] Urban Catalyst/brethdelacalle Architekten/Studio Amore: Von der Lausitz zur WOWsitz: Planungslabor Raumbild 2050, 2021, abrufbar unter: https://transformation-lausitz.ioer.eu/fileadmin/user_upload/transformation-lausitz/files/raumlabor_dokumente/wowsitz_A3_plaene_ml.pdf und https://transformation-lausitz.ioer.eu/fileadmin/user_upload/transformation-lausitz/files/raumlabor_dokumente/wow_planungslab_bericht_lang.pdf (12.07.2023)
[5] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Habeck besichtigt Projekte der Energiewende in der Lausitz (Pressemitteilung vom 22.02.2023, abrufbar unter: www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/02/20230222-habeck-besichtigt-projekte-der-energiewende-in-der-lausitz.html, 12.07.2023
[Beitrag von Simon Breth / Cordelia Polinna, LG Berlin-Brandenburg]