Bericht des 1. Zukunftskolloquiums 100+ der DASL Landesgruppe Bayern, 17.3.2023
Die Bewältigung der großen aktuellen Herausforderungen stellt uns vor ein Dilemma: auf der einen Seite gibt es den Druck, schnell Lösungen auf drängende Probleme zu finden, auf der anderen Seite den Wunsch nach fundierten, differenzierten und nachhaltigen Antworten. Während die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Transformationsprozesses unbestritten ist, erfordert die Dringlichkeit der Lage schnelle Handlungen. Diese können aber häufig nur oberflächlich sein und damit langfristig unzureichend bleiben. Wo Gewissheiten fehlen bleibt uns also nur Aufmerksamkeit und ein ständiges Nachjustieren.
Dieses Spannungsverhältnis stand im Mittelpunkt des „1. Zukunftskolloquiums 100+“ im Rahmen der ersten Mitgliederversammlung der DASL Landesgruppe Bayern in 2023.
Es wurden Strategien diskutiert, um dem beschriebenen Dilemma zu begegnen und gleichzeitig Lösungen zu finden, die sowohl kurzfristig wirksam als auch langfristig wirkungsvoll sein können. Denn, auch wenn schnelle und effektive Maßnahmen gefragt sind, darf der Blick auf komplexe Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen nicht verloren gehen, wenn sie langfristig erfolgreich sein sollen.
Drei schlaglichtartige Vorträge führten in Gesprächs- und angeregte Diskussionsrunden ein:
1. Welche Chancen und Risiken liegen in der bevorstehenden Transformation, welche Ziele können wir formulieren?
[Beitrag von Markus Lanz, Dipl. Ing. (Univ.) Architekt BDA a.o., Fotograf , LG Bayern]
Der erste Vortrag befasst sich mit der Rolle von Bildern bei der Darstellung und Erklärung von Raum. Die Vermittlung von Botschaften in Stadt- und Raumplanung erfordert die Notwendigkeit von Kontext durch Erklärungen.
Um unsere Zerstörung des Lebensraumes zu stoppen sind wir aufgefordert, die Transformationsprozesse zu sehen, zu benennen, zu beschreiben und aktiv zu wenden. In allen erforderlichen Handlungs- und Kommunikationsebenen ist die Sichtbarkeit unseres Wirkungsraumes wesentlich. Bilder unterstützen die Wahrnehmung, eine Vergegenwärtigung der Räume die wir produzieren.
Referent Markus Lanz macht deutlich: „In der ständigen Verfügbarkeit lesen wir die Bilder nicht mehr. Wir sehen auch die Räume nicht mehr in denen wir leben. Und damit nicht deren unmittelbaren Bezug zu unserem alltäglichen Handeln.“
Um das Ausmaß der zerstörenden anthropozänen Wirkungsmacht unseres Handelns zu begreifen, um die Zusammenhänge der Raumproduktion tatsächlich zu erfassen und ein Verständnis für notwendige Prozesse zu entwickeln, ist es erforderlich, die Bilder in den Kontext einer erläuternden Erzählung zu betten.
Über Bilder und Erzählungen kann erreicht werden, dass auch Transformation als prozessbezogener Begriff aufgefasst wird, dessen Ziele sich stetig fort entwickeln. Analog zur Bildsprache braucht auch Transformation einen fortlaufenden Prozess von Erläuterung und Erkenntnis. Bilder sind für das Erkennen und Lesen von „Raum“ und gleichzeitig für die Vermittlung von Inhalten und Zielen von Stadt- und Raumplanung ein geeignetes und effizientes Mittel, um Botschaften zu transportieren und auch politische Entscheidungsträger*innen künftig besser erreichen zu können.
2. Welche Ziele erreichen wir mit welchen Instrumenten, welche Regeln müssen wir ändern?
[Beitrag von David Ohnsorge, Wissenschaftlicher Referent am ISW, München, LG Bayern]
Der zweite Impulsvortrag stellt infrage, ob die häufig diskutierte Forderung, gesetzliche Grundlagen zu reformieren, tatsächlich notwendig ist. Oder ob es nicht stattdessen wirkungsvoller und schneller sein könnte, bestehende Instrumente konsequenter anzuwenden.
In die zweite Gesprächsrunde führt Referent David Ohnsorge mit der These ein, dass es, um eine erfolgreiche Transformation in Gang zu bringen, nicht an geeigneten Instrumenten zur Bewältigung der Herausforderungen mangele. Vielmehr bestünde ein Anwendungs- und Umsetzungsdefizit bei der Nutzung bestehender Regularien. In dieser Konsequenz stellt er in Frage, ob eine tiefgreifende Reform gesetzlicher Grundlagen tatsächlich erforderlich sei. Oder ob es stattdessen nicht sinnvoller wäre, „die vorhandenen Instrumente konsequent anzuwenden, um eine wirksame Transformation zu erreichen.“
Demgegenüber argumentieren die Teilnehmer*innen der Diskussionsrunde, dass viele Ausnahmeregelungen und Möglichkeiten z.B. im Abwägungsprozess eines Bauleitplanverfahrens der Wirksamkeit der genannten Instrumente entgegenstehen. Zwar könnte eine stärker zielgerichtete und gesteuerte Gewichtung abwägungsrelevanter Belange diesen Konflikt künftig lösen. Trotzdem wird eine grundsätzliche Überarbeitung der Vorgaben in der Raumplanung im Hinblick auf mehr Verbindlichkeit der Ziele und ein höheres Ambitionsniveau bei Veränderungsprozessen weiterhin als notwendig erachtet.
Trotz dieser Kontroversen besteht in der Gesprächsrunde zweifelsohne Einigkeit darüber, dass die Diskussion auf fachlicher und wissenschaftlicher Ebene kein Selbstzweck sein sollte, sondern die Umsetzung selbst in den Vordergrund gerückt werden müsse.
3. Was bedeutet das auf der Projektebene? Wo sind die konkreten Probleme und Hemmnisse, wo müssen wir in der Umsetzung umdenken?
[Beitrag von Prof. Elisabeth Endres, BDA, Professur für Gebäudetechnologie an der TU Braunschweig, Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur, LG Bayern]
Der Input der dritten Gesprächsrunde skizziert die negativen Auswirkungen maßloser Ressourcenverschwendung insbesondere im Bauwesen und betont die Notwendigkeit, bestehende gesetzliche Anforderungen und Rahmenbedingungen dahingehend zu überdenken, dass Bestandserhalt, Umbau und Wiederverwendung von Baustoffen klare Priorität erhalten.
Vor dem Hintergrund, dass Bau und Betrieb der Gebäude für
40% des CO2 Ausstoßes
52% des Müllaufkommens und
90% der mineralischen, nicht nachwachsenden Rohstoffe
zur Baustoffproduktion verantwortlich sind formuliert die Referentin Prof. Elisabeth Endres folgende Kernfragen/-thesen:
BECAUSE WE CAN – Nur weil wir Dinge können, müssen wir sie nicht tun.
AUSGEHEN VON DEM WAS IST – Vieles ist schon recht gut, so wie es ist. Kleinere Interventionen zur Stärkung des „Ist“ wären oft besser als der große Plan, der nie kommt.
WIE WENIG IST GENUG? – Wir brauchen weniger als wir haben. Müssen wir lernen, auch wieder mehr auszuhalten?
Die Fragen lassen sich auf unzählige Teilbereiche in Planung und Bauwesen beziehen. Das Bewusstsein dafür, wie ein dauerhaft verändertes Konsumverhalten unsere gebaute Realität beeinflusst hat, kann uns auch dabei helfen zu verstehen, wie wir jetzt unsere Städte auf eine nachhaltige Weise umgestalten können.
Es gebe „viele Stellschrauben, an denen wir drehen können, um eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten. Wir müssen uns vor allem aber auch wieder mit einfachen Lösungen (z.B. guten Wohnungsgrundrissen) beschäftigen, die weniger Technik benötigen und damit weniger Energie verbrauchen.“
In der angeregten Diskussion im Nachgang besteht Einverständnis darüber, dass in der Stadtgesellschaft jede*r einzelne dazu aufgefordert ist, die eigenen Ansprüche zu überdenken, um gesamtheitlich weniger Raum und Ressourcen zu verbrauchen.
Aus der Sicht der Anwesenden gilt es daher, eine Debatte über Suffizienz anzustoßen, um gemeinsam, zielgerichtet und wirkungsvoll Lösungen zu erarbeiten.
„Baukultur bildet sich auf der Grundlage von Haltungen und Einstellungen. Baukultur braucht Qualitätsmaßstäbe. Die Kriterien für Qualität lassen sich nicht normieren und nicht reglementieren. Sie müssen im Dialog, im produktiven Streit immer wieder neu erarbeitet und im konkreten Fall abgewogen werden. Darum ist Baukultur keine Aufgabe, die sich allein an den Gesetzgeber delegieren lässt oder die man staatlichen Förderprogrammen überlassen dürfte.“
[für die LG Bayern eingereicht von Robert Neuberger, Dipl.-Ing. (Univ.) Architekt BDA]