Gartenqualitäten in Hannovers Neubaugebiet Kronsberg-Süd

Der „grüne und gesunde Lebensraum steht im Fokus“ der diesjährigen Jahrestagung.
Unter der Überschrift „die Welt als Garten“, auf der Suche nach Strukturen, die eine nachhaltige
Lebensweise befördern, geht der Blick vom Zentrum an den Stadtrand.
Welche Möglichkeiten bietet dafür eine wachsende Großstadt wie Hannover mit einem
vergleichsweise eng geschnittenen Stadtgebiet, gerade einmal gut 200 km², in der über 550 000
Menschen leben und weitere ca. 200 000 täglich einpendeln? Die Ansprüche übersteigen das
Flächenangebot bei weitem, die Einzelbelangoptimierer rufen nach mehr Wohnbauland,
Gewerbefläche, Kleingärten, Sportplätze, Schulen, Kitas, P&R-Plätze, Erholungsraum etc. – und das
möglichst ohne weiteren Flächenverbrauch, denn wir müssen ja eigentlich ent- und nicht noch weiter
versiegeln.

Modell Hannover Kronsberg (© West 8, ASTOC, SHP-Ingenieure, Landeshauptstadt Hannover)

Konversion, Umnutzung und Nachverdichtung gehen weiter, trotz Eigentumsgrenzen und
Nachbarwiderstand, aber zusätzlich hat der Rat die Verwaltung 2014 aufgefordert, am südöstlichen
Stadtrand die EXPO-Siedlung Kronsberg um den von Anfang an vorgesehenen dritten Teil zu
erweitern. Unter günstigen Rahmenbedingungen dank jahrzehntelanger Vorarbeit: Im F-Plan
gesichert, rechtzeitig aufgekauft, von einem Passepartout gestalteter Landschaftsräume umgeben,
die Stadtbahn fährt schon. Die ersten von gut 4000 Wohnungen für rund 8 000 Menschen wurden
2022 bezogen, Nahversorgungszentrum, Schule, Kitas, Stadtplätze, Park und Straße sind im Bau. Ein
langgestreckter Park grenzt drei Cluster voneinander ab und verbindet sie gleichzeitig. Im Schnitt
viergeschossige, typologisch vielfältige Häuser bilden perforierte Baublöcke mit grünen Höfen.
Quartiersplätze geben jedem Cluster eine eigene Identität. Wohnungswirtschaft, Politik,
Planungsverbände und Vor-Ort-Akteur*innen haben von Anfang an mitgeplant.
Der südliche Kronsberg ist weder eine Kopie des nördlichen, noch ein Gegenbild, sondern seine
Fortentwicklung. Gelegentlich wird eingewendet, das sei alles qualitativ recht hochwertig, aber konzeptionell eher  konventionell. Am anderen Ende des Kronsbergs, ebenfalls auf ehemals stadteigenen Flächen, wird ein alternativer Ansatz verfolgt: Ecovillage. Genossenschaftlich organisierte Menschen erproben neue Formen des nachhaltigen Bauens, Zusammenlebens und Wirtschaftens: tiny living, urban gardening, Bürgerenergie, Sozial- und Bildungsprojekte für rund 1000 Menschen in ca. 500 Wohnungen, geplant mit viel Zeit, Idealismus und offenem Ausgang, übrigens ebenfalls auf bislang unversiegelter Fläche.
Ist das nicht viel nachhaltiger? Müssten nicht zukünftig alle Baugebiete – wenn es denn überhaupt
noch welche geben darf – so aussehen?
Die Antwort liegt in der Vielfalt der Wohnungssuchenden. Wir planen auch für die, die keine
Möglichkeit oder keine Lust haben, sich jahrelang kreativ, organisatorisch und auch finanziell
einzubringen. Das Baugebiet Kronsberg-Süd hätte ein Jahrzehnt später geplant möglicherweise keine
Tiefgaragen, sondern Mobility Hubs, vor dem Erfahrungshintergrund der neuen Arbeitswelten
vielleicht auch eine kleinteiligere Durchmischung mit Arbeitsplätzen. Ob es unter den aktuellen
Rahmenbedingungen überhaupt in Bau gegangen wäre, bleibt wohl unbeantwortet.

Freiraumtypen aus der „Gebrauchsanweisung“ (© West 8, ASTOC, SHP-Ingenieure, Landeshauptstadt Hannover)

Den Menschen, die dort heimisch werden, bietet es fein abgestufte Gartenqualitäten, überwiegend
verbindlich festgeschrieben in der sogenannten Gebrauchsanweisung:

  • Balkon, Loggia oder Terrasse an jeder Wohnung, z.T. Dachterrassen als privater
    Rückzugsraum
  • Grüner autofreier Hof mit direktem Zugang aus jedem Treppenhaus als halbprivater
    wohnungsnaher Freiraum, z.T. Angebote für urban gardening,
    Hauseingänge zur Straße, Vorgärten als Gemeinschaftsfläche (im Rahmen des jeweiligen
    Hochbauwettbewerbs landschaftsplanerisch zu entwerfen)
  • Quartiersplatz als identitätsstiftender Mittelpunkt des jeweiligen Clusters, grün, mit
    Aufenthaltsqualität, Kitas und Grundversorgung
  • Zentraler Platz im Nahversorgungszentrum mit Stadtbahnstation, Umstieg zum Bus, Auftakt
    zum Stadtteilpark, Übergang zum EXPO-Gelände mit Hochschulen und studentischem
    Wohnen
  • Straßenräume wurden erst landschaftsplanerisch entworfen und anschließend
    verkehrsplanerisch umgesetzt, Leitbaumkonzept, Standorte der Straßenbäume als
    verbindliche Vorgabe in den Hochbauwettbewerben
  • Zentraler Park verbindet Zentrum, geographischen Hochpunkt und Stadtbahnstationen,
    verlängert die Kante des Wohnungsbaus mit direktem Blick ins Grüne maximal, schafft auf
    begrenzter Fläche Kinderspielangebote, Gastronomie, Liegewiese, Spazierwege,
    Verbindungswege zwischen den Clustern
  • Umgebender Landschaftraum mit Kronsbergkamm, Allmendewiese, Randallee als Teil
    Grünen Rings rund um Hannover, Kattenbrookspark und parc agricole bietet vielfältige
    hochwertige Übergänge in die freie Landschaft
  • Nahegelegene Kleingartenkolonie wird um zusätzliche 50 Gärten erweitert

Die konzeptionellen Weiterentwicklungen der Grün- und Freiflächen, bezogen auf den Kronsberg-
Nord, sind vielfältig:
Anstelle einzelner für sich solitär stehender Platzindividuen gibt es auf dem Kronsberg-Süd eine Art
neue Platzfamilie (West8), die sich aufeinander bezieht, jedoch einzelne Schwerpunkte ausbildet: mal
kommunikativer, mal urbaner, mal schulbezogener, mal gärtnerischer. Gestalterische Elemente sind
sich dabei ähnlich, jedoch immer modifiziert durchgearbeitet.
Auch der Park (Lohaus+Carl+Köhlmos), der sich in bumerangförmiger Gestalt in das städtebauliche
Raster hineinschiebt, versucht möglichst vielen Menschen den Bezug zum Landschaftsraum zu
gewähren mit Blicken auf den Kronsbergkamm und die Randallee von Dieter Kienast. Die Landschaft
wirkt tief in die Siedlung ein, was man besonders am Iris Runge Platz an der Stadtbahnhaltestelle
wird erleben können.
Während die Plätze durch die rotterdamer Landschaftsarchitekten und die Stadtverwaltung vorab
geplant wurden, ist beim Park und seiner Ausstattung das Thema „Beteiligung“ groß geschrieben.
Hier können sich schon die ersten Bewohner*innen intensiv einbringen.
Wohnung – Haus – Block – Quartier – Stadtteil – Stadt – für jede einzelne Stufe von privaten zu
öffentlichen Räumen haben die Planenden Begrenzung und Verbindung, Schutz und Kontakt
ausbalanciert und entsprechende Freiräume gestaltet – für die dort lebenden Menschen, ihren
Besuch und auch für Fremde.
Diese Räume bieten z.T. auch die Möglichkeit zum Gärtnern, sie bieten aber vor allem vielfältige
Möglichkeiten sich wohnungsnah im Grünen zu erholen.
Nicht jeder, der wohnt gärtnert, aber jede die gärtnert wohnt!

Luftbild Hannover Kronsberg ((© West 8, ASTOC, SHP-Ingenieure, Landeshauptstadt Hannover)

[Beitrag von Ulrike Hoff und Thomas Göbel-Groß, LG Niedersachsen, Bremen]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert