Klimaschutz im Stadtquartier – das Energie- und KlimaQuartier Lutherviertel in Halle (Saale)

Foto: Guido Schwarzendahl

Klimaschutz im Stadtquartier – das Energie- und KlimaQuartier Lutherviertel in Halle (Saale)
… oder wie anspruchsvolle Freiraumgestaltung und das Schwammstadt-Prinzip in die Tat umgesetzt wurden.

Im Jahr 2016 begann der Umbau des Lutherviertels in Halle (Saale) im Rahmen des Programms „Energetische Stadtsanierung“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Hieraus entwickelte sich im Projektverlauf das KlimaQuartier Lutherviertel.

Entstehungsgeschichte und Bedeutung
Das Lutherviertel war in den späten 1920er Jahren ein ungeheuer ambitioniertes Bauvorhaben der noch jungen Genossenschaft und ein typisches Beispiel für eine Stadterweiterung im Stil der genossenschaftlichen Reformarchitektur. In seiner auch heute noch beeindruckenden architektonischen Gestaltung und Größe ist das Lutherviertel ein Produkt des hohen städtebaulichen Anspruchs des damaligen Stadtbaudirektors Wilhelm Jost und des Bauvereins. Mit der architektonischen Ausgestaltung wurde das renommierte Architekturbüro von Wilhelm Freise beauftragt.

Die Wohnungen des Lutherviertels besaßen eigene Bäder und Ofenheizung. Mitten im Wohnviertel gab es eine große und moderne Wäscherei, die heute als Ärztehaus und neue Wärmezentrale zur Versorgung des Quartiers dient. Das Wohnensemble bot einer großen Anzahl von Familien schönen und modernen Wohnraum in einem gesunden Umfeld mit vielen weitläufigen Grünflächen. Die offene Gestaltung der Grünanlagen, die Erzeugung der Sichtachsen in Verbund, auch mit Wilhelm Josts „Krönung“ des Lutherplatzes durch den Wasserturm Süd, ist bemerkenswert. Hier herrschten nach den durch das rapide Bevölkerungswachstum verursachten, unwürdigen Wohnungszuständen der Gründerzeit mit ihren engen und stickigen Hinterhöfen wieder Licht, Luft und offene Grünflächen vor.

Erste Erneuerungsmaßnahmen in den 1990er Jahren
Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung wurde Mitte der 1990er Jahre eine erste energetische Sanierung im Quartier durchgeführt. Zur energetischen Modernisierung gehörte auch der Austausch der Kohleeinzelöfen durch zentrale Gaskesselanlagen in den Wohnblöcken. Ein Wärmedämmverbundsystem konnte dort, wo vom Denkmalschutz zugelassen, die energetische Qualität im Verbund mit modernen Fenstern und Dachbodendämmung maßgeblich verbessern.

Was aber blieb, war ein eher monotones und gleichförmiges Erscheinungsbild der Siedlung mit großzügigen Blockrandbebauungen im immer wiederkehrenden Muster. Tatsächlich unterschieden sich die Adressen nur anhand unterschiedlicher keramischer Tiermotive über den jeweiligen Hauseingangstüren.

Schon vor 15 Jahren war deswegen der Gedanke geboren, in diesem nachgefragten Wohnquartier die energetische Qualität, insbesondere aber die Aufenthaltsqualität in den Freiräumen und Adressbildung im Quartier noch weiter zu verbessern. Letztendlich erwies sich aber kein Förderprogramm als geeignet und angesichts der Vielzahl von noch zu lösenden Aufgaben im noch laufenden Stadtumbau Ost wurde das Projekt zunächst aufgeschoben.

In den Fokus geriet in den Folgejahren immer mehr die Wärmetechnik, denn sowohl das zunehmende Alter der Gasanlagen, aber auch der Wirkungsgrad und die daraus resultierende Preisentwicklung in der Heizkostenabrechnung führten zu dem Wunsch nach Erneuerung der Anlagentechnik.

Programm Energetische Stadtsanierung – das Quartier im Blick
Im Jahr 2015 erwies sich für eine ganzheitliche Aufwertung des Quartiers das Programm „Energetische Stadtsanierung“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW 432) als geeignet.

Die Erneuerungspläne, die sich ursprünglich nur an der energetischen Qualität des Quartiers und zugleich der monotonen Gestaltung entzündeten, waren Anlass, über nachhaltige Ansätze und ganzheitlichere Klimaschutzmaßnahmen nachzudenken. Die Hauptmotivation war dabei, letztendlich eine deutlich höhere Wohnqualität verbunden mit einer günstigeren und nachhaltigeren Versorgung mit Wärme für die Mitglieder der Genossenschaft zu erreichen.

Dies war der Beginn einer umfassenden Betrachtung und Analyse des gesamten Quartiers. Zugleich ist dies vermutlich der größte Vorteil des Programms der KfW: Die Betrachtung der Gebäudetechnik und deren Verbesserung bewusst vom Einzelgebäude zu lösen und auf das ganze Quartier zu erweitern.

Darstellung DSK Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft

Dieser ganzheitliche Ansatz bedeutete für die Bewohnerschaft und die Wohnungsbestände im Lutherviertel, die Verknüpfung des Ausbaus erneuerbarer Energien mit demografischen, ökonomischen, ökologischen, städtebaulichen und wohnungswirtschaftlichen Fragestellungen. Die Quartiersentwicklung orientierte sich an:
• der Verbesserung der individuellen und gemeinschaftlichen Nutzbarkeit des Außenraums für die Bewohnerschaft,
• einer wohnklimagerechte Grünflächengestaltung,
• der Stärkung umweltfreundlichen Mobilitätsverhaltens (E Mobilität),
• einer deutlichen Verringerung der CO2 Emissionen,
• der Vereinbarkeit aller Maßnahmen mit dem Denkmalschutz.

Die ursprünglichen Auslöser – Erneuerung der Wärmeerzeugung und -verteilung im Quartier sowie eine Verbesserung des Erscheinungsbildes und der Aufenthaltsqualität – trägt durch den integrierten und integrierenden Ansatz aller Umgestaltungsaktivitäten dazu bei, dass das Vorhaben zu einer höheren Zufriedenheit und Identifikation der Genossenschaftsmitglieder mit ihrem Lutherviertel führt, für die im Übrigen aus den Maßnahmen keine Mieterhöhung resultierte.

Als nachhaltigste Variante für die zukünftige Wärmeversorgung, auch in Übereinstimmung mit dem Denkmalschutz, der beispielsweise eine Installation von Photovoltaikelementen auf den Dachflächen eingeschränkt hätte, erwiesen sich die Neuverlegung eines Wärmenetzes und die Installation eines großen Blockheizkraftwerkes (BHKW) mit Spitzenlastunterstützung durch die Fernwärme (Bereitstellung erfolgt über Kraft-Wärme-Kopplung).

Die Umgestaltung der bislang wenig ansprechenden großen Innenhöfen im Wohngebiet zu Klimahöfen mit erhöhter Verdunstungsleistung, Sammlung des Regenwassers, vollständiger Neuanlage der Spielplätze und Gestaltung der Höfe bis hin zu großen Fahrradunterstellmöglichkeiten ist dabei die letzte Etappe in dem gesamten Vorhaben. Als positive erwies sich dabei, dass die Landschaftsarchitektur von Beginn der ersten Maßnahmen an in die Neukonzeption integriert war.

Maßnahmen in der Freiraumplanung
Die bislang wenig ansehnlichen Innenhöfe konnten schon mit dem Start der Umbaumaßnahmen für das neue Nahwärmenetz umgestaltet werden. Nach ersten Tiefbauarbeiten wurden Wildblumenwiesen angelegt, um eine schnelle und hohe Akzeptanz der Mieterinnen und Mieter für die Umbauarbeiten zu erlangen. Schon zu Beginn dieser ersten Pflanzmaßnahmen gab es sehr viel positive Resonanz. Dies wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt als Wildblumenwiesen noch kaum verbreitet waren.
Im Zuge des weiteren Umgestaltungsprozesses sollten etliche Mulden für die Regenentwässerung geschaffen werden, der bislang sterile und eher langweilige Rasen in den Innenhöfen sollte durch Wildblumenwiesen und Stauden- und Kräuterflächen abgelöst werden. Aus dem aufgeräumten gepflegten Grün wurde somit ein vielfältiger und auch in vielen Bereichen „wilder Garten“, der die Artenvielfalt fördert und vielen Insekten Nahrung und Unterschlupf bietet.
Für den Umgang mit dem Regenwasser von den geneigten Dachflächen zu den Innenhöfen war das oberste Ziel die Erhöhung der pflanzenverfügbaren Bodenfeuchte, die indirekt auch das Mikroklima in den Höfen positiv beeinflusst. Denn nur wenn die Pflanzen Wasser verfügbar haben in trockenen Sommermonaten kann dieses Wasser auch verdunstet werden und merklich die Temperaturen verringern und sommerliche Hitzeinseln vermeiden helfen.
Dafür wurden unterschiedliche Mulden- und Rigolensysteme eingebaut. Der Altbaumbestand sollte dabei weitestgehend geschützt und in die Neuplanung integriert werden. Partizipation war ein wesentliches Element bei den Maßnahmen. Basierend auf einer Mieterinnen- und Mieterbefragung erstellten die Planer das Nutzungsangebot.
Auf Basis dieser abstrakten Herangehensweise entwickelten sie eine konkrete Maßnahmen- und Gestaltungsplanung für jeden einzelnen Hof entsprechend der räumlichen und natürlichen Gegebenheiten.
Die Einzelmaßnahmen umfassten dabei in den ersten sechs von insgesamt acht Innenhöfen auf mehr als 30.000 m² Gesamtfläche:
• 2.325 m² Wildblumenwiesen,
• 110 neue Bäume,
• 600 m³ Rigolenvolumen,
• ca. 700 m² Muldenentwässerung,
• Ableitung von ca. 5.100 m² Dachfläche in sechs Innenhöfe.

Alle Maßnahmen konnten im Laufe der letzten sieben Jahre umgesetzt werden, die letzten beiden Innenhöfe werden 2024 fertiggestellt werden und auch die letzte Erweiterung des Nahwärmenetzes ist zu diesem Zeitpunkt geplant.

Angesichts der welt- und damit auch energiepolitischen Lage erweist sich allerdings, dass große Heizanlagen mit gasbetriebenen BHKW kritisch hinterfragt werden müssen. Möglicherweise kann hier Biogas eine Alternative werden. Bereits jetzt ist aber schon geplant, nun doch zusätzlich Photovoltaikanlagen auf den Dächern zu installieren. Dies wird wirtschaftlich durch den Effizienzsprung bei dieser Anlagentechnik und ermöglicht so auch eine sinnvolle Nutzung bei Einhaltung der Auflagen des Denkmalschutzes.

Foto: Guido Schwarzendahl

Fazit
Der Prozess der Weiterentwicklung des Quartiers wird andauern. Am Ende der Maßnahmen wird aber ein fast hundertjähriges Ensemble nachhaltig, resilienter im Klimawandel und zukunftsfest sein – für die Mieterinnen und Mieter der Genossenschaft.
Wünschenswert wäre in der Zukunft eine effektive Förderung dieser Maßnahmen im Quartiersmaßstab als Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels, deutliche Entlastung der Kanalisation bei Starkregenereignissen und vor allem nachhaltige Steigerung der Aufenthaltsqualität für die Menschen im Quartier.

[Beitrag von Guido Schwarzendahl, LG Mitteldeutschland]

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